Vom distanzierten Schwurbelsprech zum Schreiben ohne Abstandsregeln

Mit einem heute ungewöhnlichen anmutenden Schreibstil lockte man vor hundert Jahren die Menschen aus ihrem trauten Biedermeierwohnzimmer hinaus – und hinein in die Ausflugsgastronomie des halleschen Stadtwaldes:
„Einem hochverehrten Publikum … zur gefälligen Kenntnis, daß mit Sonntag, dem 1. Pfingsttag in der Heide unweit des Heideschlößchens ein Wald- Restaurant eröffne. Alles, was in meinen Kräften steht, werde ich tun, um die mich beehrenden Gäste zufrieden zu stellen und bitte gütigst um geneigtes Wohlwollen und Unterstützung meines neuen Unternehmens.“
(Anzeige in der Saale-Zeitung von 1904)
Wie fremd klingt das heute! Ich versuche, mich in das Lebensgefühl zu versetzen. Viel Ausschmückung und Verzierung mit viel Distanz zur Zielgruppe. Diese gestelzt klingenden Schreib-Bemühungen waren sicher dem damaligen Verständnis von Höflichkeit geschuldet.
Ich sehe Bilder vor mir: Steife Mode, gestärkte Hemden, geschnürte Taillen, Sonnenschirme, Zylinder, Spazierstöcke, gezwirbelte Schnurrbärte.
Ich denke an Standesunterschiede. Die „gnädige Frau“, die höflich einen gehauchten Handkuss von einem befrackten Herrn in Empfang nimmt. Das adrette Dienstmädchen mit Spitzenschürze, knicksend vor seiner Herrschaft.
Dieser Werbetext traf um 1900, zur Gründerzeit, sicher genau ins Lebensgefühl der gutbürgerlichen Gesellschaft.
Im Kontrast dazu fällt mir auf, wie unkompliziert unsere heutigen Umgangsformen geworden sind. Dass man heute im modernen Werbesprech überhaupt keine höflich gemeinten Abstandsregeln mehr einhält. Laut und direkt lockt die Werbung, da wir inzwischen einen dicken Wahrnehmungspanzer aufgebaut haben. Da muss es kurz und knackig durchdringen!!!
Vielleicht wäre das ja mal ein ganz neuer Einstieg ins Telefonmarketing? „Hochverehrter Anschlußinhaber, zu Ihrer gefälligen Kenntis, dass ich Ihnen hiermit in aller Form und Höflichkeit ein Werbeversprechen offerieren möchte. Würden Sie mir ein paar wenige Minuten Ihrer kostbaren Zeit lang Ihr geneigtes Ohr leihen? Es soll auch nicht zu Ihrem Schaden sein. Ich werde alles daran setzen, Ihnen mein Angebot besonders schmackhaft erscheinen zu lassen.“
Wenn der Angerufene bis dahin zugehört hat, steht ihm ganz sicher der Mund vor Verblüffung offen.
Mit welcher Art Werbetexten stellen Sie sich auf Ihrer Homepage dar? Sprechen Sie die Sprache ihrer Zielgruppe? Treffen Sie das Lebensgefühl Ihrer Leser?